SO NAH. SO GUT. ODER: WAS MACHT LEBENSMITTEL WIRKLICH NACHHALTIG? – 26.11.2024

Es geht nicht um Verzicht, sondern Genuss!

Unter dem Motto „So nah. So gut.“ luden der Club Niederösterreich und die Marktgemeinde Wiener Neudorf am 26. November 2024 ins Migazzi-Haus zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung, die sich der Frage widmete, was unsere Lebensmittel wirklich nachhaltig macht und wie es gelingen kann gesunde und genussvolle Ernährung auch in Zukunft sicherzustellen.

In seinem Impulsvortrag ließ Mag. Martin Schlatzer gleich zu Beginn mit Zahlen und Fakten aufhorchen: Unsere derzeitigen Ernährungsgewohnheiten seien global für ein Drittel des Landverbrauchs, zwei Drittel des Wasser­verbrauchs, ein Viertel der Klimagasemissionen und 75 Prozent der Regenwaldabholzung verantwortlich. Planetare Grenzen, den „Safe Operating Space“, habe die Menschheit damit klar überschritten und wenig verwunderlich habe das – in Zusammenwirken mit dem Klimawandel – auch Auswirkungen auf Biodiversität und Artenvielfalt. Für die Wissenschaft leben wir im Zeitalter des 6. Massensterbens – und anders als das Schicksal der Dinosaurier, deren Aussterben durch einen Kometeneinschlag „von außen“ verursacht wurde, kommt diese „Mass Extinction“ „von innen“ und ist vom Menschen verursacht.

Unsere Ernährungsgewohnheiten schaden aber nicht nur unserem Planeten und der Artenvielfalt, sondern auch der eigenen Gesundheit. Viele Wohlstandserkrankungen, von Bluthochdruck bis Diabetes, wären durch eine ge­sün­dere Ernährung vermeidbar, unterstrich Schlatzer. Die Ernährung sei zudem ein wichtiger Hebel für die Klima­bilanz. Im direkten Vergleich seien pflanzliche Produkte bei den Herstellungsemissionen um das 20- bis 30-fache besser als tierische Produkte. Der internationale Trend gehe aber genau in die Gegenrichtung, mit steigen­dem Fleischkonsum vor allem in asiatischen Ländern.

Bei der Ökobilanz von Lebensmitteln gebe es eine klare Reihung von weniger optimal zu positiv: Am schlechtesten schneide dabei konventionelle tierische Produktion ab, davor liegen tierische Bio-Erzeugnisse, konventionell pflanzlich und schließlich voran pflanzlich biologisch. Hinzu kommt der Faktor Transport. Hier schneide das Flugzeug am schlechtesten ab.

Schlatzer stellte aber auch klar, dass es nicht um Verbote oder Verzicht gehe, sondern um maßvollen Genuss. Weniger, dafür sehr hochwertige fleischliche Produkte, die nach hohen Umwelt- und Tierwohlstandards erzeugt werden, am besten regional und saisonal verfügbar sind und ohne lange Transportwege auf den Tischen landen, sei eine gute Option. 

Bedenkt man, dass in Österreich rund 1,2 Millionen Tonnen Lebensmittelabfall jährlich anfallen, dann ließen sich durch ein umsichtigeres Einkaufsverhalten – und gebremstes Wegwerfverhalten – auch die Mehrkosten für hoch­wertigere Produkte im Familienbudget, die Schlatzer im Bereich von ca. 12 Euro pro Woche für eine vierköpfige Familie verortet, unterbringen.

Dass tierische Produktion regional unverzichtbar sei, um in landwirtschaftlichen Ungunstlagen pflanzliches Eiweiß überhaupt zu erschließen, stellte LKNÖ-Vizepräsidentin Andrea Wagner klar. „Nicht alle Regionen in Österreich eignen sich für Ackerbau. Hier braucht es den Umweg über Wiederkäuer, um aus dem Grünland Nährstoffe für die Menschen verfügbar zu machen.“ Wichtig sei hier das Arbeiten in Kreisläufen, zum Beispiel durch die Verwendung des durch Tierhaltung anfallenden organischen Düngers. Auch bei einer rein pflanzlichen Ernährung dürfe man nicht übersehen, dass zum Beispiel bei Getreide nur 1/4 der Pflanze, nämlich das Korn, genutzt werde. Stroh falle als Abfall jedenfalls an und das wiederum könne in der Tierhaltung dann auch genutzt werden.

Es gebe viele Gründe regional erzeugte Produkte zu bevorzugen, so Wagner. Österreich sei das einzige Land, in dem es gelungen sei, die CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren. 85 Prozent der landwirtschaft­lichen Betriebe nehmen außerdem am Umweltprogramm ÖPUL teil und bei BIO-Produkten sei man ohnehin Spitzenreiter.

Im Biosphärenpark Wienerwald sei es gelungen mit Direktvermarktung und biologischer Landwirtschaft ein „Netzwerk der Nachhaltigkeit“ aufzubauen, betonte Direktor Andreas Weiß. Die einzigartige Natur- und Kulturlandschaft umfasst rund 105.000 Hektar und verdankt laut Weiß ihre durch Jahrhunderte gewachsene Artenvielfalt auf den freigehaltenen Flächen vor allem der extensiven bäuerlichen Nutzung mit Weidewirtschaft. Rund fünf Prozent der Fläche des Biosphärenparks sind außer Nutzung gestellter Wald, 31 Prozent sind „Pflegezonen“ ohne Verbauung und der überwiegende Rest ist als Entwicklungszone in der Produktion.

Den Begriff Regionalität auf ein europäisches Niveau hob Waldland-Geschäftsführer Franz Tiefenbacher. Bei Waldland, einer seit mehr als 40 Jahren bestehenden Vermarktungsgemeinschaft von mehr als 1000 Vertrags­bauern aus dem Waldviertel habe man sich zum Beispiel auch darauf spezialisiert, hochwertige Rohstoffe für die Pharma- und Lebensmittelindustrie zu erzeugen. Ginko-Blätter, Schnittlauch, Kräuter und Gewürze sind ein Teil des Portfolios. Bei Ginko-Blättern trete man beispielsweise in Wettbewerb mit billiger Konkurrenz aus China, die den Markt überschwemme, aber oft nicht die Qualität liefere, die für die Weiterverarbeitung gewünscht und nötig sei. „Europa muss gerade für die Zulieferung an Pharmazie und Lebensmittelindustrie hier seine Position stärken und ausbauen“, so Tiefenbacher. Das bringe nicht nur ein Mehr an Wertschöpfung, sondern trage auch dazu bei Transportemissionen zu minimieren.

Sogar bei Kaffee, der naturgemäß nicht in Österreich oder Europa angebaut und geerntet werden kann, ist Nachhaltigkeit in der Herstellung möglich. Beispiele dafür nannte cafe+co Geschäftsführer Fritz Kaltenegger. So gebe es mit der Marke „Bulungi“ ein Projekt mit Kleinbauern in Uganda, wo auf kleinsten Flächen hochwertigster Kaffee zu fairen Bedingungen biologisch angebaut werde und mit genossenschaftlichen Strukturen gemeinsam vermarktet werde. Insgesamt plädierte er dafür, mehr auf Qualität und Genuss zu achten und dieses Bewusstsein zu fördern und hier Überzeugungsarbeit zu leisten.

Einig waren sich die Teilnehmer:innen, dass es trotz vieler erfolgreicher Initiativen noch große Anstrengung und auch Informationsoffensiven braucht, um einerseits die Wertigkeit von Lebensmitteln stärker ins Bewusstsein zu rücken und gleichzeitig eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion zu fördern, die Parameter wie Boden­verbrauch, Ressourcen- und Energieverbrauch, Klimawandel und wachsende Weltbevölkerung unter einen Hut bringt.

Dass es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten gelte, um die Menschen von gesünderen, hochwertigen, regionalen Lebensmitteln zu überzeugen, unterstrich auch Bürgermeister Herbert Janschka. In Wiener Neudorf werden täglich 650 Portionen Speisen nach „Tut gut“-Richtlinien für Kinder hergestellt, mittlerweile nehmen auch 150 Erwachsene dieses Angebot wahr, dennoch seien noch nicht alle Eltern vom Angebot überzeugt.

Die gut besuchte Veranstaltung, die von Michaela Hickersberger vom Ökosozialen Forum moderiert wurde, regte jedenfalls zum Nachdenken und vielleicht auch Umdenken an und sorgte jedenfalls noch für angeregte Gespräche beim abschließenden regionalen Imbiss, zu dem mit Unterstützung von café+co International Holding GmbH gebeten wurde, sowie bei Mohn- und Nussstrudeln von Waldland.

©Club Niederösterreich
v.l.n.r.: Doris Hofbauer (Club Niederösterreich), Moderatorin Mag. Dr. Michaela Hickersberger (Generalsekretär-Stv. Ökosoziales Forum Österreich und Europa), Ing. Franz Tiefenbacher (Geschäftsführer der Waldland Holding GmbH), Andrea Wagner (Vizepräsidentin der Landwirtschaftskammer NÖ), DI Fritz Kaltenegger (Geschäftsführer der café+co International Holding GmbH), DI Andreas Weiß (Direktor des Biosphärenpark Wienerwald), Bürgermeister Herbert Janschka (Marktgemeinde Wiener Neudorf), Gabriela Janschka und Mag. Martin Schlatzer (Studienautor und Wissenschafter am Forschungszentrum für Biologischen Landbau)

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